Symposium I
Symposium II
Exhibition / 52-Hour-Lab
Jean-Baptiste Joly
Vorbemerkungen zu
»Dealing with Fear«


Hans Ulrich Gumbrecht
Since When and Why Are We Afraid
of the Future?


Bertrand Bacqué, Ingrid Wildi Merino
Beetween Fear as a Spectacle
and Interiorized Fear


Vadim Bolshakov
Genetic Roots of Instinctive
and Learned Fear


David N. Bresch
Von irrationalen Ängsten
zu versicherbaren Risiken


Paula Diehl
Dealing with Fear
The Mise en Scène of the SS
in National Socialist Propaganda


Björn Franke
Violent Machines for Troubled Times


Teresa Hubbard, Beate Söntgen
Home and Fear
An Email-Conversation
after the Symposium’s Talk


Iassen Markov, Stephan Trüby
Temple of Janus 2.0
The 5 Codes_Space of Conflict


Jürgen Mayer H., Henry Urbach
Mind the Gap
A Transcript of the Symposium’s Talk


Matthias Aron Megyeri
Sweet Dreams Security® Est. 2003
Notes from an Orwellian City


Jasmeen Patheja, Hemangini Gupta
Fear as Experienced
by Women in Their Cities

Ortwin Renn, Andreas Klinke
Von Prometheus zur Nanotechnologie
Der gesellschaftliche Umgang
mit Risiken und Bedrohungen


Gabi Schillig
The Politics of Lines.
On Architecture/War/Boundaries
and the Production of Space


Gerald Siegmund, Maren Rieger
Die Another Day: Dealing with Fear

Jens Martin Skibsted, Adam Thorpe
Liberty versus Security:
Bikes versus Bombs


Helene Sommer
High over the Borders
Stories of Hummingbirds, Crying Wolves,
and the Bird’s Eye View


Yi Shin Tang
Dealing with the Fear of Abuse
of Intellectual Property Rights
in a Globalized Economy


Margarete Vöhringer
Keine Angst im Labor
Nikolaj Ladovskijs psychotechnische
Architektur im postrevolutionären Moskau


Susanne M. Winterling
Dealing with Fear: an Inside
and an Outside Perspective



Photo Gallery

David N. Bresch
Von irrationalen Ängsten zu versicherbaren Risiken


Irrationale Ängste stellen eine erste – wenn auch genuin intuitive – Form von Risikowahrnehmung dar. Solche Ängste bieten sich als Ausgangspunkt hin zu einem bewussten Umgang mit Risiko an – nicht nur, was die Rationalisierung derselben anbelangt, sondern auch in Bezug auf den gesellschaftlichen Risikodiskurs. Während bis in die frühe Neuzeit religiöse Konzepte zur Erklärung von Naturkatastrophen unter Zuhilfenahme von moralischen Kategorien wie Schuld und Sühne herangezogen wurden, boten sich mit dem Aufkommen der Naturwissenschaften rationalere Erklärungsmuster an. Mit dem »Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit« gehen somit eine Überwindung der Vorstellung einer »strafenden« Natur und die Forderung nach aktiver (Mit-)Gestaltung einher, notabene inklusive all der auch negativen Folgen eines solch materialistischen Weltverständnisses – auf das Thema Klimawandel wird deswegen noch zurückzukommen sein.

(Natur-)Katastrophen lassen sich also in Komponenten zergliedern, was ein Verständnis der Ereignisabfolge – der Kausalität – erlaubt. Dies sei am Beispiel von europäischen Winterstürmen kurz erläutert: Die Klimatologie bietet uns eine quantitative Vorstellung der Häufigkeit und Intensität von Stürmen und die Meteorologie liefert das Verständnis der zugrundeliegenden physikalischen Prozesse. Das technische Verständnis der Einwirkung von Sturmwinden auf Gebäude etc. erlaubt uns eine Abschätzung der Schadenempfindlichkeit, also der Beziehung zwischen Sturm-Einwirkung und Schaden-Auswirkung. Kennen wir zu guter Letzt Ort und (Bau-)Qualität aller Gebäude, so lassen sich unter Zuhilfenahme eines solchen (Sturm-)Modells nicht nur vergangene Ereignisse erklären, sondern ebenfalls mögliche zukünftige Ereignisse beschreiben.[1] Der irrationalen Angst in Bezug auf mögliche zukünftige Sturmereignisse kann damit begegnet werden. Dies soll in keiner Weise bedeuten, dass damit solche Ängste vollkommen aus der Welt geschafft wären – die erwähnten Modelle bieten keine Prognose des Eintrittszeitpunktes des nächsten Ereignisses, noch kann völlig ausgeschlossen werden, dass relevante Parameter übersehen oder zu optimistisch eingeschätzt wurden. Doch eröffnen uns Modelle einen neuen Zugang zum Umgang mit Risiken. Anstelle einer reinen Reaktion (ex-post) auf eine sich anbahnende oder bereits ereignende Katastrophe erlaubt uns das neu gewonnene Risikoverständnis einen vorausschauenden Umgang (ex-ante). Wir können uns Gedanken machen, inwiefern wir das Risiko vermeiden oder vermindern wollen – das Modell bietet uns Anhaltspunkte zur Abschätzung von (Präventions-)Kosten und (Risikominderungs-)Nutzen. Damit lassen sich die irrationalen Ängste nicht nur in rationales Verständnis, sondern aktiven Umgang mit dem Risiko verwandeln.

Doch ließen wir bis dahin außer Acht, dass sich Risiken nur bis zu einem gewissen Grad kostengünstig vermeiden und -mindern lassen. Bildlich gesprochen schützt ein zehn Meter hoher Damm vor der Haustüre womöglich vor dem tausendjährigen Hochwasser, doch ist dieser Schutz mit exorbitant hohen Kosten – auch nicht-finanzieller Art, man denke nur an die getrübte Aussicht – verbunden. Tritt ein Ereignis sehr selten auf, so ist es mitunter angebracht, auf andere Formen des Umgangs mit Risiken zu sinnen – trifft es eine große Zahl von potenziell Gefährdeten, so bietet sich die Ausbildung einer Risiko- oder Solidargemeinschaft an. Um beim Bild zu bleiben: Jeder erstellt einen zwei Meter hohen Damm und gemeinsam tragen alle das Risiko der nun seltenen Überspülung. Tritt dies nicht gleichzeitig bei allen auf (anders gesprochen: ist die Solidargemeinschaft groß genug, zum Beispiel geografisch breit verteilt), so lässt sich das Überspülungsrisiko diversifizieren. Das Risiko bleibt dasselbe, verteilt sich nun jedoch auf mehrere Schultern. Versicherung stellt dann lediglich eine Form der konkreten Ausbildung einer solchen Risikogemeinschaft dar – und senkt die Transaktionskosten umso effektiver, je größer dieselbe ist. Indem die Versicherung über die Prämie dem Risiko einen Preis zumisst, befördert dies nicht nur die Risikowahrnehmung, sondern regt, wo möglich, kostengünstigere Risikominderung (Prävention) an. Dies wohlgemerkt jedoch nur dann, wenn alle Beteiligten ein mentales Modell der Gefährdung, der Auswirkungen, der Risikominderungsoptionen und letztlich ein Verständnis des Wirkens der Solidargesellschaft mitbringen. Dies erfordert ein gewisses Maß an Bildung und den Willen, sich Herausforderungen aktiv zu stellen – es ist kein Zufall, dass der Versicherungsgedanke mit dem Aufkommen des Bildungsbürgertums [2] große Verbreitung fand.

Deshalb bleibt auch heute der Umgang mit irrationalen Ängsten und deren Transformation in kollektiv verstandene Handlungsoptionen eine große Herausforderung, von der Umsetzung letzterer ganz zu schweigen. Oder, um auf den erwähnten Klimawandel zurückzukommen: Die mangelnde Nachhaltigkeit unseres Umgangs mit endlichen Ressourcen und die sich abzeichnenden negativen Folgen der globalen Erwärmung sind inzwischen einer größeren Schicht bewusst, doch ist deren Handeln noch keineswegs darauf ausgerichtet – ein Handeln wohlgemerkt, dass sich nur schon aufgrund der Endlichkeit der Ressourcen anböte, die negativen Auswirkungen des Klimawandels bräuchte es zu dieser Einsicht eigentlich nicht. Es zeigt sich, dass unser Handeln nur zu einem gewissen Teil rational bestimmt wird, dass sich zu einer raison arithmethique stets eine raison du coeur, eine Sensibilität im Pascal’schen Sinne gesellen muss – oder anders gesprochen, dass die Rationalisierung von Ängsten nicht genügt, dass vielmehr eine Risikosensibilität gefordert ist, die mit der Irrationalität umzugehen vermag. Was wiederum bedeutet, dass sich die globale Risikogesellschaft (Ulrich Beck) bewusst werden muss, dass sie eine »unausweichliche« Solidargemeinschaft darstellt – und die Frage, ob die Menschheit diese Einsicht nicht nur zu gewinnen, sondern handelnd zu nutzen vermag, ist als eine essentielle zu verstehen, wenn wir auch in Zukunft unseren Garten bestellen wollen.






[1] Wir beziehen uns hier nicht zwingend auf detaillierte mathematische Modelle – auch »mentale Modelle« haben sich diesbezüglich, nicht zuletzt in der Risikokommunikation, als sehr nützlich erwiesen.

[2] Wobei ich hier den Citoyen, den engagierten Bürger im Sinne Max Frischs anspreche.

 



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